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Einst war sie ein herrschaftlicher Landsitz, heute steht die Villa Himmelrich mitten in der Stadt, eingeengt zwischen Obergrund- und Bundesstrasse, überragt von Wohn- und Geschäftshäusern. Doch ihre Ausstrahlung geht weit über die Stadt Luzern hinaus. Nicht nur gehört sie zu den bedeutendsten Profanbauten der Barockzeit, auch zeugt sie von der bewegten Geschichte des Luzerner Patriziats.
1772 wurde das Herrenhaus in der Spätbarockzeit erbaut. 1828 kamen die klassizistischen Fassadenelement wie die ionischen Säulen und der Balkon dazu. Foto: Christof Schürpf
Es sei «ein letzter Vertreter des absolutistischen Herrschaftshauses», schreibt der ehemalige Denkmalpfleger des Kantons Luzern, André Meyer, in seiner Geschichte über das Herrenhaus Himmelrich. 2017 hat er, der mit einer Nachkommin der letzten Besitzerfamilie verheiratet ist, die Geschichte aufgearbeitet. Er ist der beste Kenner des ehemaligen Landsitzes, der 1772 von der Familie von Schumacher erbaut wurde, in der Zeit zwischen Spätbarock und Klassizismus.
Himmelrichmatte mit Herrenhaus auf einem Kupferstich von Franz Xaver von Schumacher von 1783. Er hatte eine optimale Perspektive, als er den Schumacher-Plan zeichnete. Rechts neben dem Herrenhaus steht die Kapelle, links das Gärtnerhaus. Ganz links neben dem Landwirtschaftsgehöft ist das Kornmagazin zu sehen.
Heute ist er einer der letzten Zeugen einer Feudalzeit, die 1798 mit dem Untergang der alten Herrschaft endete. Nur das Fideikommisshaus der Familie von Segesser von Brunegg (an der Rütligasse, Bank Reichmuth) von 1752 und das Herrschaftshaus Dorenbach (auf Utenberg) von 1757 haben einen ähnlichen Stellenwert. An der Obergrundstrasse steht noch der nüchterne Grundhof von 1821; nicht erhalten ist das spätbarocke Landhaus der Familie Pfyffer (ehemals Obergrundstrasse 44). Es wurde 1980 abgerissen.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die Stadt Luzern in ihren Strukturen erstarrt. Bereits um 1350 zählte die Stadt fast 4000 Einwohner, 1798 waren es nur 300 mehr. Das geschlossene Machtsystem der patrizischen Herrschaft, die strenge Zunftverfassung, der Geldfluss aus den fremden Kriegsdiensten und die starre Haltung gegenüber der Landschaft verhinderten eine dynamische Wirtschaftsentwicklung.
Dafür floss der Reichtum der führenden Familien in den Bau von Prunkbauten in der Stadt und in der umgebenden Landschaft. Die engen Beziehungen zu Italien und Frankreich, die sich aus Jahrhunderten des Söldnerhandels ergaben, fanden ihren Niederschlag in der Architektur: Renaissance, Barock und Rokoko prägten die Fassaden der Wohn- und Zunfthäuser – und damit der Stadt.
Geprägt war die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts auch von Machtkämpfen unter den führenden Patrizierfamilien. Mit den engen Beziehungen zu Frankreich verbreitete sich das Gedankengut der Aufklärung auch in Teilen der politischen Elite in Luzern. Und stiess auf den Widerstand der Kirchentreuen, die Beziehungen vor allem zu Italien pflegten. Mitten in diesen Tumulten fand sich die konservative Familie von Schumacher, die 1699 in den Besitz der Himmelrichmatte gelangt war.
Franz Plazid von Schumacher (1725–1793) hatte die typische Karriere eines mächtigen Patrizierherrn eingeschlagen. Militärisch und politisch arbeitete er sich in die höchsten Ränge empor, 1754 wurde er in den Kleinen Rat (Regierung) aufgenommen. Er war ein Vertreter der Kirchlich-Konservativen – in einer Zeit, da sich die Fortschrittlichen auch in Luzern um die Macht bemühten. Anführer der Fortschrittlichen war Joseph Rudolf Valentin Meyer von Schauensee.
Franz Plazid von Schumacher (1725–1793).
1763 eskalierte die politische Fehde. Valentin Meyer von Schauensee gewann die Oberhand und nutzte einen Intrigenprozess, um Franz Plazid von Schumacher aus seinen Ämtern zu entfernen und selber Einsitz in den Kleinen Rat zu nehmen.
Franz Plazid von Schumacher wurde wegen Unterschlagung verurteilt, musste Schadenersatz in der Höhe von 6000 Gulden leisten, wurde mit einem Wirtshausverbot und dem Stadtbann belegt – doch er durfte die Stadt verlassen. Er ging nach Bologna, wo er Mathematik, Astronomie und Optik studierte. Und damit seine Leidenschaft fand. Für den Herzog von Modena konstruierte er Fernrohre, 1770 erhielt er den Titel eines herzoglichen Ingenieur-Hauptmanns.
Zu dieser Zeit hatte der politische Wind in Luzern bereits wieder gedreht. Die progressive Linie von Valentin Meyer scheiterte, als er begann, mit der Klosteraufhebung in der katholischen Schweiz zu liebäugeln. Für die Schumacher-Partei war es die willkommene Gelegenheit, Meyer als «Feind der Kirche» zu apostrophieren. 1769 wurde er unter Arrest gesetzt und in der folgenden Aussöhnung zwischen den politischen Parteien aus der Stadt verbannt.
Damit war der Weg frei für die Rückkehr von Franz Plazid von Schumacher nach Luzern. 1772 baute er das Herrenhaus, hielt sich aber aus der Politik zurück und widmete sich seinen naturwissenschaftlichen Studien. Für sich und seinen Sohn, Franz Xaver von Schumacher, baute er den Turm auf dem Dach des Herrenhauses zu einem wissenschaftlichen Arbeitsplatz aus. Von dort beobachtet er beispielsweise die Montgolfieren-Flüge von 1784.
Bekannt ist er in Luzern als der Erschaffer des sogenannten Schumacher-Plans, einer geometrischen Aufnahme der Stadt Luzern, 1792 in Kupfer gestochen. Sie zeigt die Stadt aus der Vogelschau und aus der Perspektive des Himmelrich-Standorts. Es ist anzunehmen, dass Franz Xaver von Schumacher an seinem Arbeitsplatz auf dem Dach sass, als er die Stadt vermass.
Schumacher-Plan von 1792, in Kupfer gestochen von Jakob Joseph Clausner.
Franz Xaver von Schumacher war Architekt, Wissenschaftler, Künstler, aber auch Politiker. 1776 wurde er in den Grossen Rat gewählt. Nur engagierte er sich nicht – wie die anderen Mitglieder der Schumacher-Familie – für die Konservativen, sondern für die Fortschrittlichen. Gemeinsam mit Franz Ludwig Pfyffer von Wyher (1716–1802), Erschaffer des bekannten Reliefs der Urschweiz, gehörte er zu den aufgeklärten Vertretern des gebildeten Ancien Régime.
In der Scheune des Himmelrich-Landgutes organisierte er Geheimtreffen der Partei, und 1799 nahm er als Ingenieur und Kommandant der französischen Kanonierbarke «l’Unité» an der Beschiessung von Brunnen und Flüelen teil. Bereits zuvor war er Konkurs gegangen, weil sich das patrizische Regiment gegen ihn gewendet und ihm Darlehen gekündigt hatte. Er begann, Liegenschaften in der Stadt Luzern zu verkaufen oder zu verpfänden. Schliesslich floh er nach Frankreich und nach Venedig, wo er 1808 starb.
Dabei ist eine gewisse Ironie des Schicksals nicht zu verleugnen: Blitzableiter waren noch um 1800 umstritten. Einerseits galten sie als ein «Misstrauensvotum gegen Gott», andererseits war der Glaube weitverbreitet, Blitzableiter zögen die Blitze an. In der Stadt Luzern wurde der erste Blitzableiter deshalb erst 1821 installiert – nicht auf dem Herrenhaus Himmelrich, sondern auf dem Pfyfferschen Haus in der Kleinstadt, damals gegen die Proteste der Nachbarn an der Pfistergasse.
Und die Ironie? 1824 schlug der Blitz in das Himmelrich ein und beschädigte das Herrenhaus. Erst danach, 1825, wurde ein Blitzableiter angebracht.