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Einst sattgrün und baumbestanden, heute dicht überbaut: Gegen den Druck der wachsenden Stadt konnte sich die Himmelrichmatte nicht wehren. Doch sie schindete Zeit und blieb lange eine grüne Enklave. Es brauchte drei Planungsanläufe, bis ihr Schicksal besiegelt war – und sie einem neuen Himmelrich wich.
Himmelrichmatte mit Herrenhaus auf einem Kupferstich von Franz Xaver von Schumacher von 1783. Das Herrenhaus steht heute noch an der Obergrundstrasse.
Noch in den späten Vierzigerjahren schwärmten die Alteingesessenen von der grünen Himmelrichmatte, die «sich früher zwischen der Moos- und der Bireggstrasse, dem Obergrund und der Neustadt weiträumig ausdehnte». «Sattgrün und baumbestanden gab sie vom Helvetiagärtli den Blick gegen die Alpen frei, dann gegen die Bauten, die die Bireggstrasse säumten, und schliesslich gegen den Pilatus, der von alters her auf die fette Trift [Weide] herniederschaute.» So schrieb es Anton Muheim, Präsident der «Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern» (ABL) und Mitglied des Stadtrates, in der «Geschichte des Hirschmatt- und Neustadtquartiers» von 1949.
100 000 Quadratmeter waren «das Reich des Himmelrichbauern». Seit dem 16. Jahrhundert gehörte es der Familie Pfyffer von Altishofen. 1699 gelangte es in den Besitz der Familie von Schumacher, die sich 1772 in einem schlossähnlichen Herrschaftssitz an der nordwestlichen Ecke der Liegenschaft niederliess. Erbauer des Herrenhauses mit dem markanten Dachtürmchen war Franz Plazid Anton Leodegar von Schumacher (1725–1793). Zu der Liegenschaft gehörte seit 1786 auch eine Bleicherei, deshalb der Name der Bleicherstrasse. Dort wurden Tücher gewaschen, gebleicht und auf den grossen Landflächen ausgelegt. 1950 wurden die Bleicherei und das Pächterhaus abgerissen, heute besteht der Umschwung des Herrenhauses noch aus rund 10 000 Quadratmetern.
Vor dem Ersten Weltkrieg war das Hirschmattquartier bis an die Moosstrasse überbaut. Auch südlich und östlich der Himmelrichmatte, entlang der Neustadt- und der Bireggstrasse, standen bereits Wohnblöcke. 1896 war die Liegenschaft von der Einfahrtslinie in den neuen Bahnhof zerschnitten worden.
Bei den Mietshäusern in der Neustadt handelte es sich um Billigbauten, die um 1870 bis 1880 für die zugewanderten Fremdarbeiter gebaut wurden. 1876 musste der Wohnblock an der Neustadtstrasse 5–13 sogar wegen Einsturzgefahr geräumt werden. Entlang der Obergrundstrasse dominierten die ärmlichen Vorstadthäuschen von Kleingewerbetreibenden, die aus dem 18. und dem beginnenden 19. Jahrhundert stammten.
Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann die Besitzerfamilie Bühler, Land an die Stadt (für den Bau der Bundes-, Moos- und Himmelrichstrasse) oder an die Centralbahn (für den Bau der neuen Bahnlinie) zu verkaufen. 1908, unter dem Druck der Stadterweiterung, trat sie eine Parzelle von 40 000 Quadratmetern an die Stadt Luzern ab – unentgeltlich. Dafür musste sich die Stadt verpflichten, die Bleicherstrasse zu bauen sowie Grünanlagen an der Bundes- und Bireggstrasse zu errichten.
Immer war es das Ziel der Besitzerfamilie, den Baumbestand in der Umgebung des Herrenhauses zu erhalten. Deshalb wehrte sie sich auch gegen den Bebauungsplan von 1904. Er stellte einen massiven Eingriff in die Parkanlage dar und erdrückte den Herrschaftssitz von drei Seiten.
Unterstützung erhielten die Geschwister Bühler sowohl von Architekten als auch von Heimatschützern. Der spätere Stadtbaumeister von Luzern, Max Türler, schrieb 1938 über die Stadtplanung der Vorkriegszeit: «Öder Reisbrettschematismus und skrupellose Ausnützung aller gegebenen Möglichkeiten feiern ihre Triumphe. Ihre Früchte sind fünf-, sechs-, ja siebenstöckige Mietskasernen mit überladenen Strassenfassaden, aber sonnen- und luftarmen Höfen. Dabei fehlt jede organische Angliederung an den alten Stadtkern. Die natürlichen Grenzen der Stadt werden verwischt, und jahrhundertelang herrschende Dominanten verlieren ihre Wirkung angesichts dieses übersetzten Massstabes.»
Schon damals, so Türler, habe es aber «Ansätze zu einer planvollen, verantwortungsbewussten Gestaltung» gegeben, «so die im Geist der damals jungen, stosskräftigen Heimatschutzbewegung entstandene Eisenbahnerkolonie Obergeissenstein». Diese war zwischen 1912 und 1914 gebaut worden.
1909 setzte sich der damalige, erst gerade gewählte Stadtbaumeister, Karl Mossdorf-Robbiani, «energisch für eine neue Planung» ein, schrieb die «Luzerner Neuste Nachrichten» (LNN). Allerdings, so die LNN weiter, bedurfte es «der Autorität von Professor Moser aus Karlsruhe (Erbauer der Pauluskirche), um die zuständigen Instanzen von der Unzulänglichkeit der geplanten Überbauung der Himmelrichmatte zu überzeugen».
Auf dem Stadtplan von 1912 ist die Himmelrichmatte in ihrem Kernbereich noch unbebaut. Geplant ist die Verlängerung der Bundesstrasse.
1910 wurde ein neuer Bebauungsplan vorgelegt. Er nahm nicht mehr das Parzellierungsmuster des Hirschmattquartiers auf, setzte aber immer noch auf Blockrandbebauungen. Auch der Heimatschutz zeigte sich angetan. Jetzt seien «die Häuser in der Nähe so gestellt, dass möglichst viele Blick» auf das alte Landgut hätten. Es biete sich ein wechselreiches Bild.
«Vogelperspektive» des Stadtbauplanes von 1910 mit einer Zentrierung des Herrenhauses.
Zuvor hatte der Heimatschutz nicht mit Kritik an der Stadtplanung in Luzern gespart. 1910 schrieb die «Schweizerische Vereinigung für Heimatschutz» in ihrer Zeitschrift: «Ohne die wirtschaftliche Entwicklung zu hemmen, soll man vor allem die Anforderungen von Verkehr und Industrie so lenken, dass die Schönheit der Heimat nicht unnötig Schaden leidet, dass nicht immer wieder durch rücksichtslose Spekulation, durch privates und staatliches Protzentum, durch aufdringliches Reklamewesen, durch künstlerische Unfähigkeit von Baubehörden unser Land unverantwortlich misshandelt wird. Ein paar Beispiele einer rücksichtslosen Ingenieurtechnik [bietet] vor allem Luzern, dessen neuere Terrainerschliessungen nicht nur unschön, sondern auch unzweckmässig sind.»
1925 bis 1929 wurden zwar die beiden ABL-Überbauungen entlang der Bleicherstrasse gebaut (Himmelrich 1 und 2). Doch in der unmittelbaren Nähe des Herrschaftshauses überzeugten nicht Bebauungspläne nicht. Erst ein abermaliger Wettbewerb für einen Stadtbauplan brachte den Durchbruch. Armin Meili, Sohn des Stadtbauplaners von 1897, Heinrich Meili-Wapf, gewann den Wettbewerb und erhielt den Auftrag, den definitiven Stadtbauplan zusammen mit dem Stadtingenieur von Luzern, Hans von Moos, zu erarbeiten. 1931 lag der neue Plan vor, 1933 trat er in Kraft.
Skizze des Stadtbauplanes von Armin Meili aus dem Jahr 1931: Hinter dem Himmelrich-Park führt die Bundesstrasse direkt in die Obergrundstrasse. Nicht gebaut wurde die Verbindungsstrasse, die rechts entlang der Parkanlage eingezeichnet ist. Sie wurde erst 1948 aus dem Plan gestrichen.
Meili selber sagte: «Blockbauten und Höfe entsprechen unseren heutigen Anschauungen nicht mehr.» Er löste die starre Symmetrie der Verkehrsführung auf und plante die Bundesstrasse durchgehend. Gleichzeitig wählte er eine Streifenparzellierung, um Zeilenbauten statt Blockrandbebauungen zu ermöglichen. Er sah darin nur Vorteile, was sowohl die Hygiene als auch die Wirtschaftlichkeit anbelangte.
Die Zeilenbauten der Himmelrich-Überbauung auf dem Stadtbebauungsplan von 1931/33.
Damit ebnete er den Weg für die grösste ABL-Überbauung auf der Himmelrichmatte (Himmelrich 3) mit damals 235 Wohnungen. Sie wurde zwischen 1931 und 1934 gebaut. Mit ihrer Zeilenbauweise prägte sie das Neustadtquartier, das sich mit den unregelmässigen Gebäudevielecken von der rechtwinkligen Schachbrettbauweise des Hirschmattquartiers abhob.
Doch eine Frage bleibt: Woher kommt der Name, weshalb «Himmelrich»?
Laut dem Luzerner Namensbuch wird «Himmelrich» häufig als Flurname für «einen schönen, hochgelegenen Ort» verwendet. Für das Landgut in Luzern ist er erst ab 1763 und als ein «hölzernes Himmelrich» verbürgt. 1695 hiess das Gehöft der Pfyffer von Altishofen noch «Oberer Grund».
Das heisst: Es gibt keine Erklärung. Dafür wird die Fantasie beflügelt. Zweifellos war das Himmelrich früher als ein «schöner Ort». Aber «hochgelegen»? Und war der «hölzerne Himmel» nur eine Redewendung? Oder eine Anspielung auf den ursprünglichen Holzbau, der erst 1772 durch das barocke Himmelrich-Schlösschen ersetzt wurde? Hochgelegen ist zumindest der Turmaufsatz auf dem Dach, also dem Himmel besonders nah. Zumal es als Observatorium genutzt wurde.
Insofern ist der Name – auch ohne Erklärung – in mehr als einer Hinsicht passend.
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