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Luzern wollte sich um die Jahrhundertwende als Weltstadt präsentieren. Der neue Bahnhof war für die Tausenden von Touristen, die nach Luzern kamen, nicht nur der Ausgangspunkt in die historische Altstadt, sondern auch der direkte Zugang zu einer modernen Stadt – einer Stadt von Welt, die auf dem Reissbrett zwischen Pilatusstrasse und Bundesplatz entworfen wurde.
Mit diesem Anspruch orientierten sich die Stadtplaner an den Bebauungsplänen von Weltstädten wie Paris und Berlin und wählten die Form der Blockrandbebauung. Diese erlaubte einen mondänen Auftritt gegen aussen und Wohnlichkeit gegen innen. Oder, wie es das Bundesinventar der schützenwerten Ortsbilder der Schweiz ausdrückt: „An beiden Randachsen stehen Bauten, die mit ihrem Fassadenschmuck die Bedeutung des gehobenen Wohn- und Geschäftsquartiers beim Bahnhof demonstrieren. Die sechsgeschossigen Mietwohnungsblöcke mit ihren differenziert auskragenden Balkonen, ihren Sockelgeschossen und steilen Mansarddächern belegen den Internationalismus der Fremdenstadt.“
Die verschnörkelten, teilweise überladenen Prunkfassaden übernahmen historisierende Elemente von Klassizismus, Neurenaissance über Neugotik bis Neubarock. Auf engstem Raum ist hier noch heute „die ganze Stilgeschichte Europas“ abzulesen, so Paul Rosenkranz im neuen Stadtführer „Luzern entdecken“ von 2016, „mit interessanten Einflüssen des Jugendstils aus der Zeit von 1890 bis 1914“.
Wie wenig man in den Sechzigerjahren von den historisierenden Stilen der Jahrhundertwende hielt, verdeutlicht Stadtarchivar Wilhelm Anton Rogger in seiner Schrift „Luzern um 1900“ von 1965: „Man frönte jener Geschmacksrichtung, die uns noch heute da und dort in der Architektur in verschnörkelten Blechtürmchen oder anderlei sinn- und zwecklosem Krimskrams begegnet.“ Und: „Es war alles irgendwie auf Schwulst ausgerichtet. Daneben eroberte eine neue, umstrittene Kunstrichtung den Kontinent von England aus – der sogenannte ‚Jugendstil‘, welcher wenigstens das Gute in sich trug, dass er auf eigene Ideen hin strebte, weg von der bisherigen Kopiererei überkommener Stile.“
Erker, Balkone und Ecktürme, wie sie auch am Gutenberghof zu sehen sind, schufen bewegte Ansichten. Nicht nur die einzelnen Fassaden, teilweise auch die einzelnen Geschosse waren unterschiedlich gestaltet. Mit diesem Reichtum an Schmuck und mit dieser Individualität versuchte das Bürgertum, sein Selbstbewusstsein zu demonstrieren und seinen persönlichen Stil nach aussen zu tragen.
Diese Lebendigkeit drückt sich auch in der Art und Weise aus, wie das Quartier angelegt ist. Zwar sind alle Strassen ungefähr gleich breit, doch sind die Abstände zwischen den Strassen und damit die Ausmasse der Blockgevierte sehr unterschiedlich. Dazu schreibt das Bundesinventar der schützenwerten Ortsbilder der Schweiz: „Die lebendige Wirkung wird durch die angeschnittenen Gebäudeecken an den Kreuzungen erhöht. Durch diese Öffnungen an den Ecken, die den Strassenraster in den Axialsichten betonen und einen möglichen Richtungswechsel markieren, entstehen nicht nur verschiedene Blickwinkel, sondern auch Orientierungs- und Merkpunkte im Quartier. Eine besondere Bedeutung als Hiatus innerhalb des Schachbretts kommt den ausgesparten drei Gevierten mit Zentralbibliothek, Lukaskirche und Park zu.“
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