Station I − Neustadt Walking Route

Blockrandbebauung

Blockrand – Ausdruck der Urbanität

Zu der Zeit, als das Hirschmattquartier entstand, waren Blockrandbebauungen die moderne Art des Städtebaus. Erprobt in den europäischen Grossstädten wie Paris und Berlin, setzte sich diese Form des verdichteten Bauens auch in den Kleinstädten durch. Vor allem bei Stadterweiterungen wie in Luzern war das Gruppieren von Wohnhäusern in einem geschlossenen Ring um einen gemeinsamen Hof bis etwa 1910 die vorherrschende Bauweise.

Und sie war Ausdruck einer selbstbewussten Urbanität. Luzern, am Ende des 19. Jahrhunderts zu einer wichtigen Tourismusdestination geworden, unterstrich mit den mondänen Bauten seinen Anspruch als Weltstadt – oder zumindest als Stadt von Welt. Auf dieser Grundlage war der Stadtbauplan von 1897 entstanden. Er sah eine schachbrettartige Erschliessung des neuen Hirschmattquartiers mit meist rechteckigen Blockrandbauten vor.

Die Luftaufnahme von 2009 dokumentiert, wie gut die Blockrandbebauung im Hirschmattquartier erhalten ist.

Vor allem an den Randachsen und in der Nähe des neuen Bahnhofs wurden Bauten erstellt, die mit ihrem reichen Fassadenschmuck die Bedeutung der Geschäfts- und Hotelbauten demonstrierten. Im Quartierinnern zeugten die sechsgeschossigen Mietwohnungsblöcke mit ihren differenziert auskragenden Balkonen, ihren Sockelgeschossen und steilen Mansarddächern von den grossstädtischen Ambitionen.

Gegen aussen, gegen die breiten Strassen, die als Alleen angelegt waren, zeigten die Häuser ihren Glanz. Gegen innen – dort, wo gewohnt wurde – sollten grosszügige Freiflächen für genügend Licht und Luft sorgen. Schon früh wurden in Luzern aber die Innenhöfe mit ein- oder sogar zweistöckigen Gewerbebauten, mit Schuppen und Remisen zugebaut.

Die Blockrandbebauung im Geviert der Habsburger-, Winkelried-, Waldstätter- und Hirschmattstrasse, 1908 von den Gebrüdern Keller erbaut. Der Zugang zum Innenhof ist nur über die Winkelriedstrasse möglich. Der Gewerbebau im Innenhof wird heute von der Neustahl GmbH genutzt.

„Undemokratische“ Bauweise

Nach 1910 gerieten die Blockrandbebauungen in Verruf – auch, weil Spekulanten versuchten, den letzten Freiraum zuzupflastern, vor allem aber, weil in den Grossstädten zu viele Menschen, häufig aus den unteren Schichten, in die Wohnungen einzogen. In den Mietskasernen breiteten sich Krankheiten und Elend aus. In Luzern war dies nicht der Fall. In den neuen Wohnblöcken wohnten vorwiegend Beamte, Kleinunternehmer und Angestellte; das Hirschmattquartier war ein Ort, wo sich der Mittelstand niederliess. Die ärmeren Leute oder die Gastarbeiter aus Italien wohnten schon damals an der Basel- und Bernstrasse oder in den Mietshauszeilen an der Neustadtstrasse.

Zunehmend wurden die Blockrandbauten aber auch als „undemokratisch“ bezeichnet. Tatsächlich waren die Wohnverhältnisse ungleich: Die unteren Wohnungen erhielten weniger Licht als die oberen, die Eckwohnungen unterschieden sich in ihren Grundrissen von den übrigen Wohneinheiten.

Südlich der Moosstrasse setzte sich die Wohnbautätigkeit bis Anfang der Dreissigerjahre fort. Dabei nahmen die älteren Bebauungen  durchaus noch die Struktur und Gestalt der Blockrandbauten des Hirschmattquartiers auf. Architektonisch an der Schwelle von Blockrand- zu Zeilenbebauung steht die Kolonie Himmelrich der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern (ABL). Sie wurde zwischen 1925 und 1934 erbaut und erweckte den Eindruck einer geschlossenen Siedlung, bestand aber aus sechsgeschossigen Zeilenbauten.

Wiederentdeckung des Blockrandes

Während fast siebzig Jahren wurde der Blockrandbau von Architekten gemieden – mit einer prominenten Ausnahme in Luzern: 1953/54 entstand der Sentihof an der Basel-, Militär- und Gütschstrasse. An der Stelle der alten Reitschule und des Zuchthauses war er ursprünglich als Zeilenbau geplant. Weil aber die Ausnützungsziffer eine dichtere Bebauung zuliess, entscheid sich der Bauherr für einen Blockrandbau. Dieser misst rund 100 auf 65 Meter und enthält 293 Wohnungen.

Heute ist die Blockrandbebauung nicht mehr verpönt. Sie gilt wieder als Ausdruck einer modernen Urbanität und als Vorzeigeart des verdichteten Bauens. Auch in Luzern ist dieser Trend feststellbar – und dies in unmittelbarer Umgebung des Hirschmattquartiers, dessen städtebauliches Muster mit Blockrandbauten und Innenhöfen in der Bau- und Zonenordnung der Stadt Luzern geschützt ist. Einerseits wird die Tribschenstadt seit 2004 in der Form von halboffenen Hofbebauungen erstellt – mit jeweils zwei L-förmigen Baukörpern, die sich gegenüberstehen und einen Innenhof bilden. Andererseits werden die drei Zeilenbauten der ABL im Himmelrich bis 2020 durch noch einen Zeilenbau und einen neuen Blockrandbau ersetzt.

Kampf um Innenhöfe

Gleichzeitig ist der Nutzungsdruck auf die Innenhöfe noch immer gross. Viele von ihnen werden seit Jahren als Autoparkplätze genutzt oder sind mit Kleinbauten zugestellt. Um für die Begrünung der Innenhöfe zu sensibilisieren, hat der Innerschweizer Heimatschutz (IHS) im November 2016 eine Kampagne gestartet und dazu eine eigene Website eingerichtet (www.innenhof-luzern.ch). Diese soll das grüne Potenzial der Innenhöfe erfassen und stellt Hilfsmittel bereit, die bei der Analyse der Innenhöfe und bei der Umsetzung von Massnahmen eingesetzt werden können.

Eine Übersicht über die unterschiedlichen Nutzung von Innenhöfen im Hirschmattquartier hat 2014 das Online-Portal Zentralplus im Beitrag „Von verbaut bis zugeparkt“ zusammengetragen.